Jonathan Swift
aus: Gullivers Reisen (Besuch in der Akademie von Lagado(*)) (1726)

Als ich über einen leichten Anfall von Darmkatarrh klagte, brachte mich mein Begleiter in ein Zimmer, wo ein bedeutender Arzt residierte, der dafür berühmt war, dass er diese Krankheit durch entgegengesetzte Verfahren mit demselben Instrument heilte. Er hatte einen grossen Blasebalg mit einer langen, dünnen Mündung aus Elfenbein. Diese führte er acht Zoll tief in den After ein und versicherte, er könne die Eingeweide so schlaff wie eine getrocknete Blase machen, wenn er die Luft einziehe. Wenn die Krankheit aber hartnackiger und heftiger war, führte er das Mundstück ein, während der Blasebalg voller Luft war, die er in den Leib des Patienten blies. Dann zog er das Instrument heraus, um es wieder zu füllen, während er mit dem Daumen die Öffnung des Gesässes fest zuhielt. Wenn das drei- oder viermal wiederholt worden war, brach die hinzugekommene Luft gewöhnlich hervor, führte die schädliche Luft mit sich fort (wie Wasser, das in eine Pumpe gegossen wird), und der Patient genas. Ich sah, wie er beide Experimente an einem Hund erprobte (**), konnte jedoch bei dem ersten keinerlei Wirkung feststellen. Nach dem zweiten war das Tier dem Platzen nahe und entlud sich so heftig, dass es mir und meinen Begleitern sehr ekelhaft war. Der Hund verendete auf der Stelle, und wir verliessen den Doktor, während er versuchte, ihn durch das gleiche Verfahren wieder zum Leben zu erwecken.

(*) Die Schilderung der diversen Narreteien ist einerseits durch Anleihen bei François Rabelais (1494-1553, Arzt, Humanist und bedeutenster Prosaschriftsteller der franz. Renaissance; Gargantua und Pantagruel, Buch V, Kapitel 22) und andererseits durch karrikierte reale Forschungsprojekte der damaligen Royal Society motiviert.

(**) Die oft missbräuchlichen Tierversuche der Forscher während der Zeit der Enstehung dieser Texe verursachte scharfe öffentliche Kritik.. So protestierte 1711 ein Freund von Swift (Joseph Addison, 1672-1719) gegen Leute, die sich die Zeit damit vertrieben Katzen in luftleeren Behältern zu ersticken, Frösche lebendig zu sezieren und Insekten auf Nadeln aufzuspiessen.

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Jonathan Swift
Gullivers Reisen
in: Jonathan Swift Gullivers Reisen, übersetzt von Hermann J. Real und Heinz J. Vienken Philipp Reclam jun., Stuttgart (1987), S. 233 f. oder: Jonathan Swift Gullivers Reisen, übersetzt von Franz Kottenkamp, Insel Verlag, Frankfurt a.M., (1972), S. 263 f., (Dritter Teil, 5 Kapitel, Besuch in der Akademie von Lagado)